Was Krisen mit uns machen

 

Bei meinen KlientInnen mit Angststörungen und depressiven Verstimmungen erlebe ich immer wieder ein ähnliches Muster. Wenn sie ins Beschreiben ihre Ängste, Sorgen und Nöte kommen, können sie gar nicht mehr aufhören. Als ob ihre eigenen Belastungen nicht schon reichen würden. Zusätzlich werden auch noch alle Probleme der Welt aufgezählt. Kriege, Erdbeben, Klimakrise, Artensterben, Finanzkrise. Die eigenen Probleme wachsen unter der Last der weltpolitischen Geschehnisse ins Grenzenlose.

An diesem Punkt ist es gut, STOPP zu sagen.

Jemand, der schon sehr hoch belastet ist sollte sich vor weiterem Leid schützen.

Das könnte unter Umständen auch heißen, keine oder nur noch einmal am Tag Nachrichten zu schauen. Man sollte zunächst dafür sorgen, dass es einem selbst wieder besser geht und sich davor hüten, in eine Leid-Abwärts-Spirale hineingesaugt zu werden.

Bei einem Druckabfall im Flugzeug, wenn die Masken herabfallen, sind die Erwachsenen dazu angehalten, zuerst sich selbst die Maske aufzusetzen, bevor sie ihrem Kind eine aufsetzen.

Gut helfen kann man nur, wenn es einem selbst gut geht.

Das sollte man stets im Kopf behalten.

Wenn es einem schlecht geht, kann man kein guter Helfer sein. Das gilt für alle Lebenslagen.

Andere Menschen vergleichen ihre eigenen Probleme mit denen notleidender Menschen in Katastrophengebieten und kommen zu dem Schluss, dass sie selbst eigentlich gar keinen Grund haben zu leiden. Sie finden, sie müssten eigentlich glücklich und zufrieden sein. Da sie es aber nicht sind und trotzdem unter ihren Belastungen leiden, fühlen sie sich schuldig oder schämen sich.

Was zählt schon mein Leid im Angesicht des Leids, das es auf der Welt gibt, fragen sie sich.

In einer Psychotherapie ist es mitunter ein langer Weg die eigenen Bedürfnisse zu entdecken und ihnen eine Daseinsberechtigung zu geben. Auch wenn auf der Welt Krieg tobt, darf ich Liebeskummer haben.

Dank des Internets werden wir mit immer neuen Krisen konfrontiert. Das belastet. Dabei können wir uns immer wieder die Frage stellen, ob wir an diesen Krisen etwas ändern können.

Wenn nicht, dann ist es durchaus legitim, sich vor diesen Bildern zu schützen.

Das soll nicht heißen, dass es eine gute Strategie ist, sich von allem Leid mit Gleichgültigkeit und Ignoranz abzuschotten.

Es gibt immer noch genug Baustellen um uns herum, für die wir uns einsetzen können und für die es sich lohnt zu kämpfen.

Sich für etwas einzusetzen, und sei es nur eine ganz kleine Sache, tut gut. Zu erfahren:

Ich kann etwas tun. Ich bin nicht hilflos. Ich kann etwas bewirken.