Viele Menschen sehnen sich danach, endlich mal alleine zu sein. Endlich mal den Anforderungen der Umwelt nicht folgen und tun und lassen, wonach einem der Sinn steht, gerade in Zeiten der Überforderung und des Stresses. Alleinsein wird häufig mit Erholung, Ruhe, Muße und Kreativität verbunden. Einsamkeit wird im Gegensatz zum Alleinsein als schmerzvoll erlebt. Einsam fühlt man sich, wenn man jemanden vermisst. Wenn z.B. ein lieber Mensch von uns gegangen ist, sei es durch Lebensveränderung, Trennung oder den Tod. Einsam kann man sich auch fühlen, wenn man von Menschen umgeben ist. Dann nämlich, wenn man sich ausgeschlossen fühlt und sich mit anderen nicht authentisch verbinden kann. Im Grunde ist Einsamkeit der Wunsch, eine Verbindung zu anderen Menschen herzustellen. Wenn das wiederholt nicht gelingt, kann es geschehen, dass Einsamkeit chronisch wird. Es kann zu einer Negativspirale kommen. Begegnungen mit anderen werden entweder von vornherein vermieden oder es wird ein feindseliges Verhalten an den Tag gelegt. Das alles nur deswegen, damit es nicht zu weiteren Enttäuschungen oder Zurückweisungen kommt. Dieses Verhalten verstärkt weiterhin die soziale Isolation und die Einsamkeit. Äußere Risikofaktoren für Einsamkeit sind: Der Winter: die Menschen kommen nicht so viel vors Haus Armut und Arbeitslosigkeit: viele Geselligkeiten kann man sich einfach nicht leisten Krankheiten: es ist häufig physisch nicht möglich, am sozialen Leben teilzunehmen Alleinerziehende: wenig Freizeit, wenig Geld junge berufstätige Menschen: müssen häufig umziehen und immer wieder neue Kontakte knüpfen wozu ihnen aber meist die Zeit fehlt Digitalisierung; Verlagerung vieler sozialer Kontakte in den virtuellen Raum Was inzwischen wissenschaftlich erforscht ist, ist, dass Einsamkeit auf lange Sicht hin krank macht. Sie soll der größte Risikofaktor für einen frühzeitigen Tod sein. Einsamkeitsgefühle bedeuten Stress für den Körper, und Stress macht anfällig für Krankheiten, die körpereigene Abwehr wird geschwächt und das Herz-Kreislaufsystem belastet.
Suchterkrankungen (es wird z.B. Alkohol konsumiert, um die Einsamkeit nicht zu spüren), Depressionen (mich mag eh keiner, ich bin nicht liebenswert, ich werde nie Anschluss finden) und Angststörungen können eine Folge von Einsamkeit sein. Besorgniserregend liest es sich, dass ein Viertel aller Erwachsenen einsam ist, unabhängig von der Zahl ihrer Kontakte. (laut FAZ/Leben vom 31.1.24) Angeblich hat die Bundesregierung Mitte Dezember ein Bündel von Maßnahmen beschlossen, um einsame Menschen gezielt zu unterstützen. Ich weiß nicht, was in dieser Hinsicht beschlossen wurde, aber ich frage mich, was diese Befunde für uns Gestalttherapeuten bedeuten.
Gestalttherapie ist von ihren Grundzügen her darum bemüht, die Menschen kontaktfähiger zu machen. Lernen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, im zweiten Schritt, diese der Umwelt zu vermitteln, sind z.B. wichtige Anliegen in einer Gestalttherapie. Eigene Schwächen und Hilflosigkeit preiszugeben, um Hilfe zu bitten und schließlich Kontaktangebote anzunehmen, sind Meilensteine in der Therapie. Wenn Sie das einmal geschafft haben und spüren, dass dadurch die Beziehung zum Gegenüber authentischer wird, dann sind Sie einen großen Schritt gegangen, der aus der Einsamkeit hinausführt. In der Gestalttherapie geht es auch sehr darum, sich selbst liebend anzunehmen. Selbst wenn niemand um Sie herum anwesend sein sollte, so haben Sie immer noch sich selbst. Gestalttherapie bedeutet auch, ein freundschaftliches Verhältnis zu sich selbst aufzubauen. Es bedeutet, zu sich selbst eine Verbindung herzustellen. Und wie ich zu Beginn geschrieben habe, dass Einsamkeit der Wunsch bedeutet, sich zu verbinden, so kann dies als allererstes mit sich selbst geschehen. Wenn Sie in guter Verbindung mit sich selbst stehen, dann werden auch Ihre Beziehungen erfüllender und andere Menschen fühlen sich in Ihrer Gegenwart wohler.
Gestalttherapie kann die äußeren Faktoren, die zu Einsamkeit führen, nicht beheben, aber sie kann einen großen Beitrag dazu leisten, Beziehungen befriedigender zu gestalten.